
Glettler warnt vor schleichender Normalisierung von Suizidbeihilfe
Einen eindringlichen Appell zur Achtung der Menschenwürde und zur Verantwortung der Gesellschaft hat das diesjährige Ethikforum zum assistierten Suizid am Dienstagabend in Innsbruck ausgesendet. Die Veranstaltung fand im Rahmen der "Woche für das Leben" der Diözese Innsbruck statt und widmete sich zentralen ethischen, medizinischen und theologischen Fragen rund um Sterbebegleitung und Lebensende. Rund 100 Fachpersonen und Interessierte kamen im Haus der Begegnung zusammen.
Bischof Hermann Glettler äußerte sich in seinen Grußworten mit deutlicher Sorge über aktuelle Entwicklungen. Am Beispiel Frankreichs, Kanadas und der Niederlande zeigte er auf, wie sich gesetzliche und gesellschaftliche Grenzen in Ländern mit legalisiertem assistierten Suizid zunehmend verschieben. In den Niederlanden sterbe bereits jeder vierte krebskranke Mensch in häuslicher Pflege durch Euthanasie - auch Kinder und Menschen mit Demenz seien betroffen. "Diese Entwicklungen dürfen nicht als neue Normalität hingenommen werden", mahnte Glettler.
Besonders kritisch sieht der Innsbrucker Bischof die Darstellung des assistierten Suizids in der Öffentlichkeit: "Harmonisierende Bilder vermitteln oft einen verzerrten Eindruck. Doch Sterben ist keine sanfte Inszenierung - es ist eine zutiefst menschliche, oft herausfordernde Realität, die Nähe, Begleitung und gesellschaftliche Verantwortung braucht." Selbstbestimmung sei ein hohes Gut, dürfe jedoch nicht als absolut gesetzt werden: "Menschsein ist kein Solokonzert - es lebt von Beziehungen, Mitgefühl und gegenseitiger Verantwortung."
Niemand dürfe mit Leiden alleine gelassen und der Eindruck nicht vermittelt werden, dass der Tod eine einfache Lösung sei, so Glettler, der in der Bischofskonferenz für den Bereich Lebensschutz zuständig ist und hier auch die Verantwortung der Kirche hervorhob: Sie setze sich dafür ein, Menschen besonders in der letzten Lebensphase mit Seelsorge, Hoffnung und dem Angebot von Versöhnung zur Seite zu stehen. Zentral sei zudem der weitere Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung: "Jeder Mensch soll bis zum letzten Moment Würde, Zuwendung und Annahme erfahren - unabhängig von Alter, Krankheit oder Lebenssituation", so Glettler.
Achtsamkeit und Begleitung
In den Fachbeiträgen des Forums betonten sowohl die Palliativexpertin Angelika Feichtner (Österreichische Palliativgesellschaft) als auch der Innsbrucker Moraltheologe und Jesuit Stefan Hofmann die Notwendigkeit einer Kultur der Achtsamkeit und Begleitung. Feichtner warnte davor, den Wunsch nach assistiertem Suizid vorschnell mit Autonomiestreben gleichzusetzen. Viele Suizidwünsche entstünden aus tiefer existenzieller Not und aus Angst vor Leiden, Einsamkeit oder unzureichender Versorgung.
Gleichzeitig fehle es laut Feichtner in Österreich an ausreichender Hospiz- und Palliativversorgung. Zwar zeige sich, dass auch bei schwersten Erkrankungen Lebensqualität möglich sei, doch erhielten viele Menschen keinen Zugang zu entsprechenden Angeboten. Die Zahl der errichteten Sterbeverfügungen stieg laut Gesundheitsministerium bis Mai 2025 auf 670, davon wurden 556 Medikamente ausgegeben. Über den Verbleib von 468 dieser Präparate gibt es bislang keine Daten. "Es fehlt ein systematisches Monitoring", kritisierte Feichtner.
Besonders problematisch sei auch die Überforderung von Angehörigen und Betreuungspersonen. Angebote zur Trauerbegleitung und psychosozialen Unterstützung seien weiterhin kaum vorhanden. Die gesetzlich vorgesehenen Beratungsgespräche im Rahmen des assistierten Suizids würden von vielen Hospiz- und Palliativeinrichtungen abgelehnt - auch aus ethischer Überzeugung.
Dammbruch bedroht besonders vulnerable Gruppen
Der Theologe Hofmann ordnete die Debatte gesellschaftlich ein. Die Wahrnehmung von Suizid habe sich historisch stark gewandelt - von einer moralisch geächteten Handlung hin zu einem Ausdruck individueller Freiheit. Diese Entwicklung spiegle einen tiefgreifenden Wertewandel wider. "In einer Gesellschaft, die stark auf Selbstoptimierung und Lebensqualität ausgerichtet ist, erscheint Leiden oft sinnlos", so Hofmann. Gleichzeitig wachse die Sorge vor einem ethischen Dammbruch, bei dem vulnerable Gruppen unter Druck geraten könnten.
Die Kirche sehe ihren Auftrag klar darin, Menschen in der letzten Lebensphase zu begleiten, ohne Suizid oder Euthanasie als Lösung zu propagieren, betonten beide Vortragende. Es brauche ethisch fundierte Aufklärung, Fürsorge und ein Menschenbild, das Leid nicht ausblendet, sondern als Teil menschlicher Existenz anerkennt.
Feichtner stellte in diesem Zusammenhang auch die Plattform ASCIRS (www.ascirs.at) der Österreichischen Palliativgesellschaft vor. Diese soll Fachpersonen und Angehörige bei Fragen rund um assistierten Suizid und Lebensende unterstützen.
Inklusive Feier der Lebensfreude
Zum Auftakt der "Woche für das Leben" hatte Bischof Glettler bereits am Wochenende das "Fest der Lebensfreude" im Innsbrucker Dom gefeiert. Der feierliche Gottesdienst, der heuer zum dritten Mal stattfand, war ein deutliches Zeichen für Inklusion und Lebensschutz. Menschen mit Beeinträchtigungen wirkten aktiv mit - als Lektoren, Ministranten und Musiker. Glettler betonte dabei die unveräußerliche Würde jedes Menschen: "Diese Feier ist nicht nur ein spirituelles Ereignis - wir senden auch ein klares gesellschaftliches und politisches Signal."
Quelle: kathpress