Asylkrise macht "Sünde" Europas sichtbar
Die Flüchtlingskrise macht für Europa sichtbar, was die Bibel in anschaulichen Bildern als "Sünde" brandmarkt: "Verstöße gegen Menschenwürde und Gerechtigkeit, die immer auch Verstöße gegen Gott sind", betonte die Wiener Pastoraltheologin Regina Polak in einem Beitrag für die aktuelle Ausgabe der Wochenzeitung "Die Furche". Die Armuts- und Kriegsflüchtlinge aus Nahost und Afrika kämen "entweder von Kriegsschauplätzen, die das Zerfallsprodukt zumeist völkerrechtswidriger Militärinterventionen der USA bzw. Russlands sind, oder aus Ländern, deren wirtschaftsimperialistische Ausbeutung durch den Westen nicht unwesentliche Basis von dessen Wohlstand ist", schrieb Polak in ihrem Beitrag zum dieswöchigen "Furche"-Schwerpunktthema "Braucht Nächstenliebe Grenzen?".
Die Theologin verwies auf eine biblische "Theologie der Migration", die Gott als treu auf der Seite von "Fremden" und Flüchtlingen stehend erkennt, die Gastfreundschaft und eine differenzierte Gesetzgebung für Fremde gebietet. Am Beispiel des babylonischen Herrschers Belsazar, dem eine vom Propheten Daniel ausgedeutete geisterhafte Schrift an der Wand seines Palastes ("Menetekel") den eigenen Untergang und den seines Reiches ankündigte, unterstrich Polak die Notwendigkeit einer radikalen Kehrtwende.
Die weltweit 60 Millionen Flüchtlinge, von denen nur ein geringer Anteil nach Europa komme, können laut Polak als warnendes Menetekel gesehen werden: "Sie künden davon, dass die Tage des gegenwärtigen Umgangs mit der Welt gezählt sind." Der unvoreingenommene Blick auf die Genese der Flüchtlingskrise fordere Europa "zu Selbstkritik und zur Übernahme der Verantwortung für ein Problem auf, das global und strukturell ist und auch nur so gelöst werden kann". Auch König Belsazar habe erkennen müssen, "dass Reichtum auf Kosten von Vertriebenen und Unterdrückten vor Gott keinen Bestand hat". Verweigere sich Europa dieser Einsicht, seien auch "unsere Tage gezählt", so die prophetische Warnung der Wiener Theologin. "Wir müssen nicht nur helfen, wir müssen uns ändern - unseren Lebensstil, unsere Wirtschaftspolitik, unsere Entwicklungspolitik."
Anschwellender Rassismus in Europa
Aktuell sei erst der Beginn weltverändernder Migrationen erlebbar. Polak verwies auf die bisher ungekannte Gleichzeitigkeit von Bedrohungen, mit denen die Menschheit konfrontiert ist: Sie nannte Umweltzerstörung und Klimawandel, "ein auf tönernen Beinen stehendes Finanzsystem", die bis 2050 noch wachsende Weltbevölkerung. All dies mache Ängste verständlich, befand Polak; aber Angst rechtfertige nicht den "wieder anschwellenden Rassismus in Europa". Dieser sei keinesfalls eine "natürliche" biologische oder psychologische Reaktion, "sondern ein ideologisches Erbe unserer Vorfahren ist - von einer verantwortungslosen Politik offenbar immer noch abrufbar".
Polak zeigte auch mögliche positive Effekte der globalen Fluchtbewegungen auf: Die Flüchtlinge könnten dazu beitragen, "dass die Menschheit ihre Einheit erkennt und in Gerechtigkeit und Frieden miteinander leben lernt. Dies wäre die große Vision." Und dies würde nicht eintreten, "weil Flüchtlinge bessere Menschen sind; auch die Ankunft von Terroristen ist nicht hundertprozentig auszuschließen. Aber die Ankunft der Geflohenen weckt oft das Beste in den Menschen - ich denke hier an die Welle zivilgesellschaftlicher Hilfsbereitschaft, die die Politik vor sich hertreibt."
Quelle: kathpress (18.09.2015)