Kirchenmithilfe sorgt für "Orte der Menschlichkeit"
Der Wiener Westbahnhof ist seit Tagen ein "Ort der Menschlichkeit": Das unterstrich der koordinierend tätige Generalsekretär der Caritas Wien, Klaus Schwertner, in der Nacht auf Dienstag am "Hotspot" des Flüchtlingsstroms in die Bundeshauptstadt. Die Caritas versorgt am Westbahnhof und auch im "Train of Hope" am Hauptbahnhof die Menschen mit Hygieneartikel, Verpflegung und Wasser. Rund 1.800 Flüchtlinge befanden sich Dienstagvormittag laut Schätzungen der Polizei auf den Wiener Bahnhöfen. Mehr als 6.000 mussten über Nacht bleiben, fanden unter anderem Platz in kurzfristig errichteten Notunterkünften - auch in Wiener Pfarren.
In der Nacht auf Dienstag wurden in Pfarrsälen mehr als 1.000 Flüchtlinge untergebracht, weitere 600 in Notquartieren der Caritas, teilte der Flüchtlingskoordinator der Erzdiözese Wien, Rainald Tippow, gegenüber "Kathpress" mit. Für die kommende Nacht gebe es (Stand Mittag) Zusagen für 1.210 Nächtigungsplätze in Wiener Pfarren, wo teilweise bis lange nach Mitternacht freiwillige Helfer auf Busse mit Flüchtlingen warten. Der erfahrene Katastrophenmanager der Caritas, Tippow, sagte, er habe noch niemals eine solche Welle an Solidarität erlebt wie in diesen Tagen.
Freilich seien Pfarrsäle als Dauerquartiere ungeeignet: Eine Nacht in einem Raum mit 50 anderen und mit unzureichender Ausstattung mit Toiletten oder Duschen zu verbringen sei möglich, bei mehreren Nächten werde das zum massiven Problem. Kinder müssten beschäftigt werden, Traumatisierte müssten erst jüngst in Ungarn erlittene "fürchterliche Unmenschlichkeit" verarbeiten, wie Tippow weiß. Die Pfarrgemeinden leisteten hier einen wesentlichen Beitrag, dass Flüchtlinge wieder Vertrauen fassen können, dass ihr Schicksal nicht zuallererst bürokratische Härte und zwischenmenschliche Hartherzigkeit auslöst. Aktuell 26 Pfarren stehen auf Tippows Liste potenzieller Quartiergeber für die kommende Nacht, dazu kommen weitere Gemeinden, die sicher bereits voll belegt sind.
Vielfältige Möglichkeiten zu helfen würden ergriffen, sagte Klaus Schwertner am Dienstagmorgen im Interview mit "Radio Wien". Menschen würden zum Beispiel Bananen beim Westbahnhof vorbeibringen, andere Geld spenden. Freilich: "In diesen Stunden haben wir gemerkt, dass die Koordination der Hilfe schwieriger wird, weil die politischen Entscheidungen ausstehen." Schwertner würde sich - wie er sagte - wünschen, dass sich die verantwortlichen Politiker ein Beispiel am Engagement und Tempo nähmen, das die Zivilgesellschaft bei der Hilfe für Flüchtlinge an den Tag legt. Der Generalsekretär setzte auch auf Symbolik: "Der Platz vor dem Wiener Westbahnhof heißt übrigens Europaplatz. Er heißt nicht Stacheldrahtzaunplatz, nicht Grenzkontrollplatz, nicht Mauerplatz, sondern Europaplatz", twitterte Schwertner.
"Wie Wien die Aufgaben gemeinsam bewältigt", beeindruckt auch Caritas-Präsident Michael Landau. "Da ist man doch ein wenig stolz auf die Stadt", ließ er am Dienstag via Twitter und Facebook wissen.
Derzeit 40.000 Flüchtlinge in Österreich
Caritas-Österreich-Generalsekretär Bernd Wachter nannte am Montag eine geschätzte Zahl von 40.000 Flüchtlingen, die sich derzeit in Österreich aufhalten und deren Situation ungeklärt ist. Die Caritas sehe angesichts des Flüchtlingsstroms nach Österreich eine "absolute Mega-Aufgabe" auf Hilfsorganisationen und Behörden zukommen. Für Wachter stellen sich derzeit - wie er gegenüber der APA erklärte - vor allem logistische Probleme, was die Weiterreise der Flüchtlinge nach Deutschland betrifft: "Wie sieht der Transport in den nächsten 24 Stunden aus?" Die Caritas selbst sei derzeit beschäftigt, alle Kapazitäten auszunutzen.
Dass Österreich eine dauerhafte Beherbergung der jüngst über die Grenze Gekommenen schaffen kann, glaubt Wachter "absolut nicht". Die Situation sei bisher bereits angespannt gewesen, den Großteil der Flüchtlinge könne man hier nur für wenige Tage unterbringen.
Salzburg: Mit Entspannung kaum zu rechnen
Nach dem turbulenten Montag am Salzburger Hauptbahnhof rechnen die Behörden auch am Dienstag kaum mit Entspannung, meldete der ORF. Es sei offen, wie viele Flüchtlinge im Lauf des Tages ankommen, "und wie viele das Nadelöhr verlassen können". Rund 600 Flüchtlinge verbrachten die Nacht in der Bahnhofs-Tiefgarage. Koordiniert wird deren Betreuung vom Katastrophenreferat des Landes Salzburg; die Caritas hilft wie auch in Wien der Verteilung von Nahrung und Kleidung und stellt Dolmetscher zu Verfügung, teilte der Flüchtlingskoordinator der Erzdiözese Salzburg, Franz Neumayer, im Gespräch mit "Kathpress" mit.
Am Wochenende war die Caritas "im humanitären Dauereinsatz", wie Caritas-Salzburg-Sprecherin Margit Greisberger sagte. Insgesamt waren von Freitag bis Sonntag mehr als 30 Caritas-Mitarbeiter und 75 Freiwillige im Einsatz, täglich wurden ein Dutzend Paletten an Lebensmitteln, Hygieneartikeln und Kleidung gesammelt und ausgegeben. Nach einem Aufruf am Sonntag brachten die Salzburger spontan Isomatten, Decken und Schlafsäcke vorbei. Im Moment seien ausreichend Sachspenden am Bahnhof vorhanden, hieß es. Über aktuelle Erfordernisse informieren Caritas und Stadt Salzburg über ihre Facebookseiten bzw. via www.caritas-salzburg.at.
Caritasdirektor Johannes Dines, der selbst in den Nächten des Wochenendes am Bahnhof im Einsatz war, unterstrich, dass neben der Versorgung mit dem Nötigsten "unseren Caritas-Dolmetschern eine zentrale Rolle am Bahnhof zukommt". Caritas-Mitarbeiter, die den Einsatz der vielen Freiwilligen am Bahnhof koordinieren, unterstützen laut Dines vor Ort in enger Abstimmung mit dem Roten Kreuz, der Polizei und der ÖBB. Ein "großes Dankeschön" richtete der Caritasdirektor an die vielen Einheimischen, "die so großartig auf unsere Aufrufe reagiert haben" und spontan Sachspenden brachten.
Graz liegt jetzt auf der "Ausweichroute"
Die Flüchtlingssituation wird auch in der Steiermark durch die "Ausweichroute" an Ungarn vorbei immer schwerer einschätzbar. Die Koordination für die am Montag kurzfristig eingerichteten zwei Notquartiere in der Schwarzl-Halle in Unterpremstätten und in der Praktiker-Halle in Graz-Straßgang liegen beim Arbeiter Samariterbund und beim Roten Kreuz, die Caritas unterstützt die Betreuung der Flüchtlinge mit Dolmetschdiensten und der Ausgabe von Kleidung, wie der Flüchtlingskoordinator der Diözese Graz-Seckau, Erich Hohl, am Dienstag gegenüber "Kathpress" mitteilte. Gleiches gelte für die hunderten Flüchtlinge am Grazer Haupt- und Ostbahnhof. Die Caritas ersuchte am Dienstag besonders um gespendete Decken, Iso-Matten und Schlafsäcke (siehe: www.caritas-steiermark.at/flucht).
Hohl ist auch Mitglied eines seit Freitag täglich zusammentretenden Caritas-Krisenstabs, der für die Landesbehörden kirchliche Ansprechinstanz bei der Bewältigung der aktuellen Anforderungen ist. Wenn das Land um Mithilfe bei der Schaffung weiterer Notquartiere ersuche, würden kirchlicherseits noch vorhandene Kapazitäten für eine kurzfristige Unterbringung ausgeschöpft, sagte Hohl. Dafür würden derzeit auch Möglichkeiten in Pfarrsälen entlang der nach Graz führenden Flüchtlingsrouten erhoben.
Zur längerfristigen Beherbergung von Flüchtlingen in der Grundversorgung erklärte der kirchliche Experte, er sei zuversichtlich, die aktuelle Zahl von 700 kirchlichen Quartieren in Bälde auf 1.000 erhöhen zu können: "Das werden wir sicher schaffen."
ORF-Initiative "Helfen. WIE WIR"
Am Dienstag startet der ORF in Zusammenarbeit mit Caritas, Diakonie, Hilfswerk, Samariterbund, Rotem Kreuz und Volkshilfe die Initiative "Helfen. WIE WIR" für Kriegsflüchtlinge und Asylsuchende. Im Mittelpunkt steht die Website "Helfenwiewir.at", die als Schnittstelle zwischen Hilfsorganisationen und interessierten Bürgern dienen soll. Neben dem Sammeln und Organisieren von Geld- und Zeitspenden ist eines der vorrangigen Ziele die Beschaffung von Wohnraum.
Für eine deutsch-österreichische, aber auch für eine gesamteuropäische Lösung sprach sich Diakonie-Direktor Michael Chalupka aus. Auch die Diakonie sehe es als Aufgabe, die Versorgung der Menschen so gut wie möglich aufrecht zu erhalten. "Es gibt keine Zeit zu verlieren mit Beschwörungsformeln", appellierte er an die Politik. Die derzeitige Situation sei auch das Ergebnis der Versäumnisse vergangener Jahre, kritisierte Chalupka. Grenzkontrollen würden außerdem das Problem nicht lösen, sondern verschieben: "Die Menschen werden so oder so kommen."
Schon 700 Plätze im Burgenland
Im Zuge einer spontanen Hilfsaktion gelingt es den Pfarren der Diözese Eisenstadt zur Stunde, rund 700 Notquartiere für Flüchtlinge buchstäblich über Nacht zur Verfügung zu stellen. Waren es bis Montagnachmittag noch rund 560 Plätze, die in Pfarrheimen und Klosterräumlichkeiten für Flüchtlinge spontan geschaffen wurden, kamen über Nacht im Südburgenland weitere 130 bis 140 Notschlafstellen dank der Pfarren Jennersdorf, Mogersdorf und Deutsch Kaltenbrunn hinzu, berichtete die Diözese Eisenstadt am Dienstag. Der diözesane Flüchtlingskoordinator Markus Zechner sprach dem Engagement und Idealismus der vielen Menschen in den Pfarren seine Hochachtung aus.
In Jennersdorf wurde das als offener Begegnungsraum konzipierte Pfarrheim, die sogenannte "Arche", kurzerhand zu einem Zentrum der Solidarität: 70 Menschen finden hier zur Stunde ein Dach über dem Kopf, Unterkunft, Verpflegung und die Möglichkeit der Regeneration. "Wir haben Turnmatten in die Arche gebracht und provisorische Schlafplätze eingerichtet. Um 5 Uhr früh sind etwa 70 Menschen, die meisten aus Syrien und Afghanistan, mit einem Bus aus Nickelsdorf gekommen", berichtete der Jennersdorfer Pastoralassistent, Diakon Willi Brunner. 15 freiwillige Helfer seien in der Nacht im Einsatz gewesen, Dienstagfrüh wurden sie durch rund 15 neue Freiwillige ersetzt.
In der 1.700-Einwohner-Gemeinde Deutsch Kaltenbrunn wurden im katholischen Pfarrhof spontan 30 Schlafplätze bereitgestellt, mindestens weitere 30 provisorische Unterkünfte konnten in dem 646-Seelen-Ort Mogersdorf errichtet werden.
Zu den nun 130 bis 140 neuen Notquartieren hatten Pfarren der Diözese Eisenstadt von Apetlon bis Zurndorf, von Eisenstadt bis Illmitz bereits 560 Plätze für schutzsuchende Menschen auf der Flucht bereitgestellt, die aktuell auch in Anspruch genommen werden.