"Politische Solidaritätskrise" in Asyldebatte
Caritas Wien-Generalsekretär Klaus Schwertner ortet eine "Solidaritätskrise auf politischer Ebene" in der Asyldebatte. Von den rund 80.000 für heuer erwarteten Asylanträgen in Österreich würden nicht alle positiv beschieden werden, es gehe in Wirklichkeit um eine "überschaubare Zahl von Menschen", so Schwertner bei einem kontroversiellen Forumsgespräch zum Umgang mit Flüchtlingen in Europa in Alpbach am Montag. Im Zuge der Ungarn-Krise habe Österreich 160.000 Menschen aufgenommen, infolge des Bosnien-Krieges 90.000. Es sei "offenbar keine Frage des Könnens, sondern eine Frage des Wollens".
Am Podium saßen zum Thema "Sackgasse Europa? Asyl- und Flüchtlingspolitik auf dem Prüfstand" neben Schwertner auch der umstrittene Buchautor und frühere SPD-Politiker Thilo Sarrazin, der Bürgermeister der nordirakischen Stadt Erbil, Nihad Qoja, Julian Lehmann vom Global Public Policy Institute in Berlin und die Filmemacherin Nina Kusturica, die als 17-Jährige während des Bosnien-Krieges nach Österreich gekommen ist.
Auf europäischer Ebene wünscht sich Schwertner eine bessere Zusammenarbeit. "Hier muss es eine gemeinsame europäische Verantwortung geben." Die quotenmäßige Aufteilung von Flüchtlingen auf alle EU-Länder hält der Generalsekretär für sinnvoll, gleichzeitig müssten Mindeststandards bei der Betreuung und den Rechtsverfahren eingehalten werden, die Basis für eine gemeinsame europäische Verantwortung sein sollten.
Zurzeit ortete Schwertner auf EU-Ebene eine falsche Prioritätensetzung. "Wenn die EU seit 2009 rund 1,3 Milliarden Euro für den Grenzschutz ausgegeben hat, der Bau eines Grenzzauns in Ungarn über 30 Millionen Euro kostet; eine Summe, mit der die Ernährung von Flüchtlingen in Jordanien für ein Jahr gesichert werden kann, dann muss ernsthaft über eine neue Prioritätensetzung nachgedacht werden."
Kritisch äußerte sich Schwertner auch zur fehlenden Möglichkeit, als Flüchtling legal in Österreich einreisen zu können. Wer aber Schlepper nachhaltig bekämpfen wolle, müsse legale Möglichkeiten schaffen, in Österreich Asyl beantragen zu können. Gleichzeitig dürften die Ängste besorgter Bürger, die dem Asylthema kritisch gegenüber stehen, nicht einfach ignoriert werden, auch wenn er jeden Versuch, Schwache gegen noch Schwächere auszuspielen, ablehne. Die Politik dürfe nicht vergessen, sich um Themen wie das der Armutsbekämpfung oder der Bildungsfrage zu stellen.
Der Bürgermeister der nordirakischen Stadt Erbil, Nihad Qoja, sagte in der Diskussion, er verstehe die Aufregung in Europa über die Flüchtlinge nicht: "Wir reden vielleicht über 200.000 Leute." Gleichzeitig seien Milliarden Euro nach Griechenland geflossen, um das Land vor dem Bankrott zu retten. In der irakischen Kurdenregion sei man plötzlich mit 1,8 Millionen Flüchtlingen konfrontiert gewesen - bei 5,5 Millionen Einwohnern. Qoja appellierte an die europäischen Länder, hier auch Unterstützung zu leisten.
Sarrazin meinte, man müsse das Thema Einwanderung vom Thema Asyl trennen. "Diejenigen, die wir jetzt als Flüchtlinge bei uns unterbringen, sind nicht unbedingt Einwanderer." Die Unterbringung von Flüchtlingen sei "immer etwas, das vorübergeht, und es ist immer etwas, was nahe an den Kriegsgebieten erfolgt oder erfolgen sollte". Der Buchautor betonte zudem nach Kritik an Äußerungen seinerseits auf dem Podium, er habe eine "klare Sprache, aber sie ist immer gewaltfrei".
Julian Lehmann vom Global Public Policy Institute in Berlin unterstrich, dass sich Migration in Europa nicht auf Flüchtlinge reduzieren lasse. Zur Debatte über die Dublin-Regelung und eine Quote zur Aufteilung von Flüchtlingen in der EU hielt er fest, er sei kein Freund von Dublin. "Aber wir müssen auch aufpassen, dass die Quote nicht irgendwas erzeugt, was schlechter ist als Dublin."
Die Filmemacherin Nina Kusturica, die als 17-Jährige während des Bosnien-Krieges nach Österreich gekommen ist und sich auch in ihrer filmerischen Tätigkeit mit dem Thema Flucht auseinandergesetzt hat, schilderte, dass sie sich angesichts der aktuellen Situation von Flüchtlingen manchmal denke, "was für ein Glück wir hatten, unterwegs keiner Gefahr ausgesetzt zu sein".