Scheuer: "Klartext gegenüber rechten Demagogen"
Die EU kann sich in der Asylfrage "als Solidargemeinschaft profilieren oder an nationalem bzw. eurozentrischem Egoismus scheitern". Eine gemeinsame europäische Asyl- und Flüchtlingspolitik ist nach der Überzeugung des Innsbrucker Bischofs Manfred Scheuer "längst überfällig". Die Fluchtbewegungen des vergangenen Sommers seien nicht nur ein Unterbringungsproblem. "Manchmal hat man den Eindruck, als würde Europa den eigenen Werten Freiheit, Achtung der Menschenwürde, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Wahrung der Menschenrechte nicht glauben." Dass von zu vielen Mitgliedsstaaten beim Thema Asyl "auf Zeit gespielt wird", ist für Scheuer inakzeptabel. "Und es ist Klartext zu sprechen gegenüber rechten Demagogen, die Angst schüren und Hetze und Gewalt gegen Flüchtlinge betreiben."
Bischof Scheuer äußerte sich bei einem "Gebet für den Frieden" in Südtirol, das am Sonntag im Gedenken an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren an der Dolomitenfront durchgeführt wurde. Der Einladung der Gemeinden Toblach, Cortina d'Ampezzo und Auronzo di Cadore waren vier Bischöfe und hohe Landespolitiker gefolgt, wie die Diözese Innsbruck mitteilte. Die Eucharistie feierte der Ortsbischof Ivo Muser (Bozen-Brixen) gemeinsam mit Erzbischof Luigi Bressan (Trient), Bischof Guiseppe Andrich (Belluno) und Bischof Scheuer, der predigte. Ansprachen hielten die Präsidentin der Provinz Belluno, Daniela Larese Filon, und die Landeshauptmänner Ugo Rossi (Trentino), Günther Platter (Tirol) und Arno Kompatscher (Südtirol).
Krieg "läutert" nicht, er verdirbt
Scheuer erinnerte in seiner Predigt an die "Schrecken eines absurden Krieges", der allein am nahen Monte Piano 14.000 Soldaten das Leben kostete. Davor hätten viele Menschen, auch Intellektuelle, den Krieg ersehnt als eine Art "chirurgischer Eingriff", als "Hygiene" und "Läuterung": "Manche sahen den Krieg als eine Notwendigkeit nach Jahrzehnten des Friedens, um den Niedergang einer Gesellschaft aufzuhalten." Tatsächlich wurde der Erste Weltkrieg jedoch zu einem "epochalen Desaster", so der Innsbrucker Bischof. Aus seinem Wüten seien die "Katastrophen des 20. Jahrhunderts" hervorgegangen: Scheuer nannte den Aufstieg des Faschismus in Italien, die Oktoberrevolution und der Bürgerkrieg in Russland, den Siegeszug des Nationalsozialismus in Deutschland mit den Folgen Shoah und Zweiter Weltkrieg.
Der Krieg hinterließ nach den Worten des Bischofs tiefe Spuren in der Mentalität der Völker, "er verdarb und schädigte den Charakter der Menschen und machte die Seele einer Nation schlechter, ... machte die Menschen in ihren Köpfen blöder, dümmer, weil intolerant und fixiert auf den eigenen Egoismus". Als Wurzel für die "Urkatastrophe" des 20. Jahrhunderts bezeichnete Scheuer einen "zum Religionsersatz gewordenen" Nationalismus, weiters Hass, Verachtung und Arroganz gegenüber anderen Völkern, die Anmaßung absoluter Macht über Leben und Tod, aber auch die Gier z.B. nach Lebensraum.
Statt Läuterung habe der Erste Weltkrieg die Vorstellung zur Folge gehabt, dass unterschiedliche Menschen nicht zusammenleben können. "Es verfestigte sich die Überzeugung, dass man nie mehr mit anderen zusammenleben wolle", so Scheuer. "Der andere, der sich von der eigenen Gruppe unterscheidet und mit dem man Jahrhunderte lang zusammenlebte, dieser andere wird zum Feind, weil er als Angehöriger einer anderen Nation, einer anderen Ethnie oder einer anderen Religion angesehen wird, weil er eine andere Sprache spricht." Das gelte auch für die Sprach- und Volksgruppen im historischen Tirol, wies der Innsbrucker Bischof hin.
Ohne Gerechtigkeit kein Frieden
Erst nach dem Zweiten Weltkrieg hätten sich die Beziehungen innerhalb des Kontinents gewandelt zu einem freundschaftlichen Miteinander und zum "gemeinsamen Bauen am Bauplatz Europa". Zugleich warnte Scheuer: "Damals wie heute wird der Friede durch massive Gerechtigkeitsdefizite und Verstöße gegen die Menschenrechte bedroht." Auch heute gebe es die Versuchung der Macht und die Glorifizierung von Gewalt. Der Bischof appellierte: "Beten wir, dass Gottes Geist die Menschen nicht müde werden lässt, sich für Frieden und Gerechtigkeit einzusetzen. Dies gilt gerade angesichts der Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten unserer Tage wie aus Syrien oder aus dem Irak." Die Sicherung des Friedens sei nicht möglich ohne den Schutz der Menschenrechte und der Menschenpflichten.
Auch der Brixener Bischof Ivo Muser betonte beim Friedensgebet, es sei notwendig, sich fortwährend um Frieden zu bemühen: "Radikalismus, Fremdenhass, Verachtung anderer Kulturen, Sprachen und religiöser Bekenntnisse, nationalistisches Gedankengut, Demagogie und Populismus dürfen in unserer Gesellschaft keinen Platz erhalten. Solche Haltungen sind unverantwortlich und unvereinbar mit dem christlichen Gottes- und Menschenbild."