Wiener Flüchtlingskoordinator: Boot nicht voll
Die Situation der Flüchtlinge in Österreich ist nach wie vor "unwürdig für eines der reichsten Länder der Erde". Das betont der neue Flüchtlingskoordinator der Erzdiözese Wien, Rainald Tippow, in einem auf der Website der Erzdiözese (www.erzdioezese-wien.at) veröffentlichten Interview: "Es liegen noch immer Hunderte Menschen im Freien in Traiskirchen. Unsere Grundversorgungseinrichtungen sind übervoll." 99 Prozent der weltweiten Flüchtlinge befänden sich in Dritte-Welt-Ländern und nur ein Prozent komme derzeit nach Europa. Dieses eine Prozent sei zugleich nicht einmal ein Promille der europäischen Bevölkerung, so Tippow: "Eine gerechte Aufteilung bedeutet, dass pro tausend Einwohner ein Flüchtling kommt. Das heißt, unser Boot ist nicht voll. Wer das Gegenteil behauptet, ist ein Zyniker."
Es gehe schlicht darum, "Menschen, die Fürchterliches erlebt haben, in unserem Land willkommen zu heißen" und ihnen eine dauerhafte Perspektive zu bieten, betont der Wiener Flüchtlingskoordinator: "Wir leben in einer Zeit, in der wir ganz scharfen Wind aus der Politik erleben, viele Aspekte von Unfähigkeit und Untätigkeit, sehr viel Zynismus. Es ist wichtig, dass hier die Kirche und die Zivilgesellschaft ein klares Wort sprechen und sagen: Nein, es ist uns nicht egal, wenn Menschen auf der Flucht sind. Da müssen wir etwas tun, die Haltung 'offene Hand statt geballter Faust' einnehmen."
In der Erzdiözese Wien habe es bereits zu Beginn des Sommers eine Erhebung der Wohnraumsituation gegeben, an der sich mehr als 200 Pfarren beteiligten. Tippow: "Woran wir arbeiten ist, dass die Pfarren von uns ganz klare Antworten bekommen, welche Arten von Wohnraum gesucht werden, für Menschen in welchen Rechtsverhältnissen?" Ziel sei es, dass es in der Erzdiözese Wien "keine Pfarre und keine pastorale Einheit gibt, die sagt, das Thema geht mich nichts an". Tippow: "Wir haben einen ganz klaren Auftrag, uns um Menschen zu kümmern, die am Rand der Gesellschaft stehen, und diesen Auftrag müssen wir als Kirche wahrnehmen."
Kardinal Christoph Schönborn wolle mit gutem Beispiel vorangehen. Es gebe seinen ganz klaren Wunsch, in den Räumlichkeiten, auf die er am Stephansplatz unmittelbar Zugriff hat, Flüchtlinge unterzubringen. Tippow: "Das Ganze ist in einer bautechnischen Umsetzungsphase und soll in den nächsten Wochen realisiert werden. Damit möchte Kardinal Schönborn ein ganz klares Zeichen setzen. Die Wohnungen hier am Stephansplatz sind ja nicht frei - es geht also um die Schaffung von zusätzlichem Wohnraum für Flüchtlinge."
Tippow wurde mit 1. September 2015 zum Flüchtlingskoordinator der Erzdiözese Wien bestellt. Bisher leitete er die Pfarrcaritas der Erzdiözese Wien.